Gedanken zwischen Reis und Sprit
Nicht Missernten sind es, die weltweit die Nahrungsmittelpreise in schwindelerregende Höhen treiben. Es sind die Leute vor den Börsencomputern, die Glücksritter, die den Ärmsten das Brot so sehr verteuern, dass sie Hunger leiden müssen. Sie hungern, damit der Börsenspekulant reich wird. Satt ist der immer.
Wenn ich Sonntags diese weiße, klebrige Masse aus dem Kochtopf schöpfe, mir der Wasserdampf in die Nase steigt, dann denke ich an Hùng. Dann sehe ich ihn und eine Horde älterer Landarbeiter in den Feldern Vietnams stehen. Ihr hartes Leben hat sich als tiefe Falten in ihre Gesichter eingegraben. Manchmal waten sie den gesamten Tag knietief im Wasser. Sie hacken, sie graben, sie pflanzen, meist in gebückter Haltung. Sie treiben ihren Wasserbüffel voran, das Arbeitstier, welches sie nur dann mit der Rute antreiben, wenn es träge wird. Sie lieben ihn, den oft einzigen Besitz. Das merkt man, wenn man hört, wie sie ihm zureden, wenn sie mit der Hand über seinen Rücken streifen. Dazu bedarf es keiner Sprachkenntnisse. Es genügt, dem Tonfall der Reisbauern zu lauschen.
Ähnlich wie der Büffel plagt sich Hùng, während er dem Vater hilft. Und der Vater sagt dann: »Die jungen Leute sind diese Knochenarbeit nicht mehr gewöhnt, aber essen wollen sie auch.« Dennoch freut er sich, wenn ihn die Söhne aus der Stadt besuchen und ihm ein paar Handgriffe abnehmen.
Weit weg im Supermarkt macht der Geiz geizig
Das Leben dieser Menschen ist weit weg und geht uns als Bewohner der westlichen Welt nichts an, wenn wir als Konsumenten durch die Supermärkte drängeln. Immer sind wir auf der Suche nach dem Schnäppchen. Und die Werbeindustrie macht uns dabei noch ein gutes Gewissen, Geiz macht gierig! Doch zurzeit will bei unseren Shoppingtouren nicht so rechte Freudenstimmung aufkommen. Die Preise für Weizen, Mais, Milch, Öle und Reis sind in den vergangenen anderthalb Jahren[1] in dramatischem Maße gestiegen. Dies wiederum ist für Spekulanten an den Börsen, von äußerster Wichtigkeit. Kein anderes Thema beschäftigt sie mehr. Oft können sie zwischen Immobilienkrise und Konsumentenmisstrauen nächtelang nicht ruhig ins Bett kriechen.
Die Agrarkurse an der Chicagoer Board of Trade sind kräftig geklettert. Was für ein Festival gab es dort, als im April 2008 der Reispreis auf den Märkten der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince um beinah 80 Prozent anstieg. Diese Sprünge erleben wir sonst nur bei Öl oder New Economy Titeln. Genau dort traden die schlimmsten Profiteure. Sie verdienen übermäßig viel Geld damit, dass die Nahrungsmittelpreise anschwellen. Hier lebt der Zynismus: die Weltbörsen verbrauchen keine Nahrungsmittel, aber sie sind es, welche die Weltmarktpreise in die Höhe treiben.
Es gibt genug Reis für jedermann
Genau dort schlummert die Bosheit. Obwohl es genügend Reis für jeden Menschen gibt, erhalten viele nicht eine Schüssel dieses Grundnahrungsmittels. Sie können sie einfach nicht mehr bezahlen. Hungeraufstände sind die Folge. Häufig gibt es Tote wie bei den jüngsten Unruhen in Haiti[2]. Dann haben die Fernsehsender etwas zu berichten. Etwas, das actionreicher ist als die Berichte über die alltäglich verhungernden, bettelnden Kinder, Frauen und Männer überall in unserer Welt.
Man versucht Ursachen für die gestiegenen Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel zu finden. So nimmt die deutsche Welthungerhilfe[3] an, dass die erhöhte Nachfrage nach Biosprit, die teuren Energiepreise, die ersten Auswirkungen des Klimawandels und vermehrte Dürren schuld seien. Doch werden nicht auch Nahrungsmittel von gewinnbewussten Händlern in Speichern zurückgehalten? Einzig in Vietnam, neben Thailand der größte Reisexporteur der Welt, drohen harte Strafen für Reisprofiteure. Dagegen beschäftigt beispielsweise Paraguay das Militär[4], um die Menschen, welche ihre Nahrung nicht bezahlen können, von den Ausgabestationen fern zu halten. Offiziell nennt man das »Verhinderung von Plünderungen«. Aber tatsächlich werden damit in erster Linie die Spekulanten geschützt, die darauf wetten, dass sie ihren gelagerten Reis mit noch mehr Gewinn verkaufen können. Tritt dieser Faktor nicht ein, vergammeln die Nahrungsmittel in den Silos.
Bauern, die nichts mehr verdienen, können auch nichts mehr kaufen
Obendrein wird nicht nur an die Lebensmittelindustrie verkauft. Zahlt diese zu wenig, wie beispielsweise beim Mais, so entschließt man sich – wie beispielsweise die USA[5], diesen nicht an Nachbarländer, sprich: nach Mexiko[6] zu geben, sondern lieber an Biosprithersteller zu verkaufen. Wie skrupellos aber muss ein Mensch sein, der seinen Nachbarn verhungern lässt, bloß weil sein Auto immer mehr Sprit braucht, da er zu faul ist, zum nächsten Supermarkt 200 Meter zu Fuß zu gehen. Der Ratschlag zur landwirtschaftlichen Flächenausdehnung erscheint da beinah zynisch. Denn gerade in Südasien ist eine Erweiterung kaum noch möglich. Dort werden bereits 94 Prozent der Anbauflächen landwirtschaftlich verwertet. Eine Ausdehnung ist maximal in Russland oder Lateinamerika möglich. Aber das reicht nicht aus, dazu braucht man Bauern und diese sind nur da, wenn die hohen Preise auch bei ihnen ankommen. »Wenn wir Bauern zu wenig verdienen«, sagte mir Hùngs Vater vor drei Jahren (2005), »dann sind wir auch keine Konsumenten mehr. Wir werden nichts mehr kaufen, weil wir ganz einfach kein Geld mehr haben. Um das zu begreifen, brauche ich kein Studium der Volkswirtschaften.«
Veröffentlicht: Eurasisches Magazin, Mai 2008
- Food and Agriculture Organization of the United Nations
- Landwirtschaft in der Europäischen Union
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
- Welternährung aus Sicht der Bundesrepublik
- Deutsche Welthungerhilfe e. V.
- Amnesty International
Anhang
[1] Bezugszeitraum 2008, laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen: http://www.fao.org/worldfoodsituation/en/ und http://www.fao.org/docrep/010/ai465e/ai465e06.htm
[2] Tagesspiegel, 10. April 2008, Handelsblatt 13. April 2008
[3] Welthungerhilfe, »Hunger im Überfluss«: Hunger im Überfluss (welthungerhilfe.de) / Hunger kann nur lokal überwunden werden (weltagrarbericht.de)
[4] amnesty – Magazin der Menschenrechte, September 2008, Herausgeber Amnesty International, Schweizer Sektion
[5] EuropaBio’s (the European Association for Bioindustries): http://www.europabio.org/sites/default/files/de_biokraftstoffe__nahrungsmitte.pdf (Originallinkt nicht mehr verfügbar) zur Hauptseite Europabio.org
[6] TAZ, Interview mit Herrn Parnreiter, »Die Kleinbauern werden verdrängt« vom 16. April 2008
»Vietnam« – Reportagen aus dem Land der Drachen und Feen
Oktober 2017 – ISBN: 978-3-7448-1106-4 – 136 Seiten – 27 s/w Fotos – 7,99 Euro
Vietnam, das kleine China im Süden, das ist eine mehr als tausendjährige Geschichte des Kampfes um seine Freiheit. Vietnam ist eine Entdeckungsreise, extrem lang gezogen und gebirgig von den Landesgrenzen Kambodschas und Laos bis zum Südchinesischen Meer. Dazwischen liegt ein ehrgeiziges Land. Ein Volk der Drachen und Feen, wie sich die Vietnamesen gern sehen. Ein Volk mit scheinbar unerschöpflichem Fleiß ausgestattet, aufbegehrend gegen ihre Besatzer, zugleich anschmiegend an ihre Invasoren.
Der Autor nimmt den Leser mit in das Wechselspiel zwischen Ahnenkult, Sozialismus und Globalisierung. Er taucht ein in das harte Leben der Reisbauern, deren Jugend nach westlichen Werten strebt, genießt die herzliche Gemeinschaft des Dorflebens und unternimmt eine Zugreise von Hanoi nach Saigon im Wiedervereinigungs-Express. Er besucht eine der schillerndsten und ungewöhnlichsten Religionsgemeinschaften der Welt, die Cao Ðài, spricht mit Studenten und Professoren, Reisbauern und einer caodaistischen Seherin.
enthaltene Reportagen
- Bác Hổ – Der gefangene Geist des Hổ Chí Minh in Hanoi
- Die gute alte Heimat – Wenn die Kinder in die Städte ziehen, droht das Elend
- Begierde und Illusion – Im Zug unterwegs von Hanoi nach Saigon
- Immer ist es das alte Lied – Gespräch mit Professor Tuê Van Nguyễn in Saigon
- Cao Ðài – Ein Tag gleicht dem anderen – zwischen Reisfeld und Ahnenkult